Opernmagazin „Orpheus“ (Aug./Sep. 1995)

Opernmagazin „ORPHEUS“ Aug./Sep. 1995

Eva Lebherz-Valentin – von Alter Musik bis zur Moderne
Kurt Osterwald stellt die vielseitige Sopranistin vor

Der greise koreanische Komponist Isang Yun sagte von ihr nach der Aufführung seines Opus „Gagok“ für Stimme, Gitarre und Schlagzeug 1995: „Eine der schönsten Aufführungen, die ich gehört habe – ich danke für die atmosphärischen, sauberen, wunderschönen Töne…“ Das Stück ist aufgezeichnet auf einer CD avantgardistischer Musik von Scelsi, Müller-Hornbach, Stahmer, Rolf Riehm und Glanert mit dem Ensemble Nunc. Und dies ist, wenn wir richtig gerechnet haben, bereits die siebente CD der Eva Lebherz. Eigentlich gehört die Sopranistin, folgt man ihrer Vita und ihren künstlerischen Aktivitäten, längst nicht mehr zum „Nachwuchs“, hat sich auf einem sehr speziellen, aber variationsbreiten musikalischen Sektor etabliert: In Alter Musik (von 1400) bis zum – wie erwähnt – Zeitgenössischen.

Geboren ist Eva Lebherz in Frankfurt/M., die dem Handwerk verpflichtete Familie war stets der Musik verbunden. Die drei Geschwister lernten Instrumente, Eva wollte und durfte mit drei Jahren (!) ans Klavier. Und sie sang gern, was sie mit acht Jahren zum Kinder- und Figuralchor des Hessischen Rundfunks führte. Dort verfrachtete man sie in den hohen Alt, stellte zwar ihr absolutes Gehör fest, doch dass man einen veritablen höhenbegabten Sopran vor sich hatte, entging den Verantwortlichen.

Musik wurde zum Lebenselixir für Eva Lebherz; 1976 machte sie am Frankfurter Goethe-Gymnasium als eine der ersten ein Musik-Abitur. Dann studierte sie Gesang, Klavier und Oboe an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und gründete mutig nach dem Staatsexamen eine private Musikschule, die sehr erfolgreich war und nur der Liebe wegen nach sechs Jahren aufgegeben wurde. Daneben arbeitete sie mit dem Frankfurter Renaissance-Ensemble als Sängerin (immer noch Alt) und Pommer-Instrumentalistin.

1986 lernte sie Michael Valentin kennen, einen ausgewiesenen Musikologen und Spezialisten für Alte Musik. Er erkannte ihre Möglichkeiten im Sopranfach, wurde Lehrer, gestrenger Kritiker und sorgte nachhaltig für die Umstellung der Stimmlage. Mit ihm zog sie nach Heidelberg, gemeinsam gründete man das Isaak-Ensemble für Alte Musik, das sich inzwischen bundesweit in Expertenkreisen einen Namen gemacht hat. Dem Paar – man heiratete  1988 – sind auf wissenschaftlicher Basis eine Reihe Wiederentdeckungen und die Belebung klassischer Raritäten zu danken wie Marienantiphone in Vertonungen des 15. Jahrhunderts (unter dem Titel „Ave Regina Coelorum“), oder J’ay pris amours“ (Gesänge des 14. und 15. Jahrhunderts von den Carmina burana über Oswald von Wolkenstein, von John Dowland bis Claudio Monteverdi). Ob Mittelalter oder Moderne – stets setzt der fein strukturierte charaktervolle, dabei instrumental geführte Sopran der Eva Lebherz entscheidende Akzente. Das gilt erst recht für die ebenfalls als CD dokumentierte Musik am Hofe Heinrichs VIII. in Korrespondenz mit Liebesbriefen des Königs an Ann Boleyn. Zwar hat Eva Lebherz in großen Oratorien-Aufführungen, u. a. den Mozart-Messen, Haydns „Schöpfung“, dem Brahms-Requiem, in München [Jolivets stimmlich und musikalisch außerordentlich fordernde „Messe pour le Jour de la Paix“ und Schnebels „Lamento di Guerra“), in Innsbruck 1992 beim „Habsburger Jahr“ vor dem spanischen König, beim Schleswig-Holstein-Festival , in Weimar und bei den Heidelberger Schlossfestspielen ihre außerordentlichen Möglichkeiten und ihren exquisit timbrierten Sopran oft unter Beweis gestellt, doch („Da fehlen die Beziehungen und/oder die Protektion“) der Sprung auf die Opernbühne steht noch bevor. Was sich angesichts eines zwar mit Vorsicht disponierten, doch effektiven Rollenangebots von Mozarts Pamina und Elvira, Verdis Violetta oder Bizets Micaela etc., Registrierung wichtiger Partien in Deutsch, Französisch, Italienisch oder Russisch sowie fehlender Berührungsängste vor der Moderne (siehe Isang Yun) als risikolos und erfolgsprädestiniert erweisen dürfte. Und auch in Liederabenden abseits vom gängigen Repertoire würden wir Eva Lebherz gern hören, denn was sie auf diesem Sektor bisher geboten hat, ist schon sehr viel mehr als ein Versprechen: Eine junge Sängerin mit außerordentlich reizvollem Material, hoher Musikalität und intellektuellem Background. (Kurt Osterwald)